Onlinezugangsgesetz verfehlt Ziele: Verwaltungsdigitalisierung am Scheideweg
Mai 16, 2022Lange Schlangen in Behördenfluren, komplizierte Antragsverfahren und dicke Stapel kopierter Blätter aus Papier – was immer noch typisch im Kontakt mit Behörden ist, sollte eigentlich bald vorbei sein.
Dazu hatte 2017 der Bundestag das sogenannte Onlinezugangsgesetz (OZG) beschlossen. Das Gesetz verpflichtet deutsche Behörden in Bund, Ländern und Gemeinden, ihre Verwaltungsdienstleistungen für die Bevölkerung bis Ende 2022 auch digital anzubieten.
OZG hat Ziele bisher nicht erreicht
Nach übereinstimmenden Berichten sieht es Anfang des zweiten Quartals 2022 jedoch nicht so aus, als ob dieses Ziel bis Jahresende tatsächlich erreicht wird. Der Bundesrechnungshof hat im März in einem Bericht dem Bundesinnenministerium vorgeworfen, den Digitalisierungsfortschritt zu „beschönigen“. So seien allein von den betroffenen Bundesangeboten erst 3,8 Prozent wie vorgesehen digitalisiert.
Auch der Normenkontrollrat bewertete in dem „Zum Monitor digitale Verwaltung“ bereits im Herbst 2021, dass die Umsetzung des OZGs bis Ende 2022 nicht mehr zu schaffen sei und kritisiert vor allem die mangelhafte Personalausstattung bei den Behörden.
Ergänzend zu den Bewertungen der staatlichen Stellen spricht seit diesem Monat auch der Branchenverband Bitkom davon, dass eine erfolgreiche OZG-Umsetzung nicht mehr „zu erwarten“ sei (vgl. bitkom.org).
Wirtschaft als Digitalisierungstreiber
Nicht nur der Staat und die Bürger haben ein Interesse an einer digitalen Verwaltung, auch Unternehmen und Interessensvertretungen der privaten Wirtschaft wollen die Digitalisierung.
Sie sind gleichzeitig Nutzer der Verwaltungsdienstleistungen wie auch Anbieter der dazu notwendigen digitalen Werkzeuge. Um die Verwaltungsdigitalisierung konkret weiter voranzubringen, schlägt der Bitkom ein Bündel von Maßnahmen vor:
- Da die vollständige Digitalisierung nicht mehr zu schaffen ist, sollten zunächst einige Dutzend der am meisten genutzten Verwaltungsangebote priorisiert finalisiert werden.
- Basiskomponenten und Best-Practice-Lösungen sollen zur Übernahme verpflichtend bereitgestellt werden, damit nicht mehr jede Verwaltung Einzellösungen entwickelt.
- Die Nutzung digitaler Identitäten nach eIDAS-Framework soll stärker gefordert und die Kompatibilität der Konten untereinander (Bund/Länder) erreicht werden.
- Standardformate zum Datenaustausch sollen schneller verbindlich festgelegt werden, um etwaige Parallelentwicklungen und Kompatibilitätsprobleme zu vermeiden
- Nicht zuletzt soll auch die Cloudifizierung der Verwaltungsdienstleistungen nach der Deutschen Verwaltungscloud-Strategie schneller umgesetzt werden.
Ende des Onlinezugangsgesetz offen
Das Jahr 2017 als Startpunkt der deutschen Verwaltungsdigitalisierung liegt heute schon fünf Jahre zurück. Am Geldmangel wird die mangelhafte Umsetzung nicht gelegen haben; allein 2020 gab es im Rahmen der Corona-Hilfen noch einmal 3 Milliarden Euro extra (vgl. BMI-Webseite).
Anscheinend herrscht auch im Bundesinnenministerium eine erste Torschlusspanik, Presseberichte sprechen bereits von einem sich in Planung befindenden „OZG-Boosters“ (vgl. Heise.de).
Ob jedoch durch veränderte Priorisierungen und weitere Verwaltungsaktionen eine tatsächliche Beschleunigung im Onlinezugangsgesetz herbeigeführt wird, muss sich erst zeigen.
Wie schon in unserem Blog berichtet, besteht der Bedarf, kurzfristig stärker in die Ausbildung von Digitalisierungs- und IT-Fachkräften zu investieren. Es gilt neue und alternative Abschlüsse zu entwickeln und für den Zugang zum Öffentlichen Dienst zu öffnen.
Über Cyforwards:
Die Cyforwards GmbH bietet eine integrierte Personalberatung in den Themenschwerpunkten Executive Search und People & Organizational Development. Sie besetzt Führungs- und Fachpositionen überwiegend in der IT-Managementberatung. Der Fokus liegt auf den Branchen Public Sector & Government, Transportation & Mobility sowie Healthcare. Als Transformationsberater und -begleiter unterstützt Cyforwards Individuen und Organisationen, ihre Ziele zu erreichen und Potenziale zu entfalten. Benjamin Wittekind gründete das Unternehmen 2018 in München.
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