Healthcare

Beispiel ePA: Zum Status der Digitalisierung im Gesundheitswesen

Im deutschen Gesundheitswesen wird immer noch überwiegend mit einem bunten, analogen Mix aus Telefonaten, Briefen, Faxen und weiteren Papierformaten kommuniziert.

Cyforwards-Geschäftsführer Benjamin Wittekind (zum Linkedin-Profil) fasst den aktuellen Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen und die Problematik dabei zusammen.

Bereits vorhandene digitale Angebote wie die elektronische Patientenakte ePA oder das E-Rezept werden in der Praxis kaum genutzt oder durch Datenschutzbedenken staatlicherseits schnell wieder ausgehebelt.

Das sind zwei der wichtigsten Erkenntnisse einer aktuellen Studie des Ärzteverbands Hartmannbund in Zusammenarbeit mit dem Digitalbranchenverbands bitkom. Dazu befragten die beiden Verbände insgesamt 500 Mediziner*innen in Krankenhäusern, Arztpraxen und weiteren medizinischen Versorgungsstätten.

Mehr als zwei Drittel der teilnehmenden Ärzt*innen wünschen sich ein höheres Tempo in der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die Mediziner*innen  sehen digitale Technologien als grundsätzliche Verbesserungsmöglichkeit in der Versorgung der Bevölkerung an. In der medizinischen Praxis vor Ort wird jedoch weiter überwiegend nicht-digital kommuniziert.

Die Hindernisse in der weiteren Umsetzung der Digitalisierung liegen nach Meinung von über 90 Prozent der befragten Mediziner*innen in der hohen Komplexität des deutschen Gesundheitswesens. Dazu treten eine zu strenge Auslegung des Datenschutzes (69 Prozent) und ein unverhältnismäßig hohem Aufwand für IT-Sicherheit.

Elektronische Rezepte und ePA kaum genutzt

Ein Beispiel ist der aktuelle Rollout des elektronischen Rezepts im September 2022 mit gerade 250 Arztpraxen im gesamten Bundesgebiet, die das Rezept nutzen. Kaum zwei Monate später wurde das Pilotprojekt schon durch ein Veto des Bundesdatenschutzbeauftragten gestoppt. Damit werden die rund 500 Millionen Rezepte, die pro Jahr in Deutschland ausgestellt werden, bis auf Weiteres wie gewohnt auf Papier verarbeitet.

Nicht viel besser sieht es bei der elektronischen Patientenakte ePA aus. Die ePA sollte eigentlich eines der Kernstücke der Digitalisierung sein.

In dieser nach allen Regeln des deutschen Datenschutzes zusammengestellten, elektronischen Informationssammlung sollten die aktuelle Medikamenteneinnahme, Vorerkrankungen, Blutwerte, Untersuchungen und frühere Behandlung eines Patienten zusammengefasst werden.

Dazu hatte Gesundheitsminister Jens Spahn in 2019 das Terminservice- und Versorgungsgesetz an den Start gebracht, dass die ePA seit dem 1. Januar 2021 für alle Versicherten möglich machte. Bis Ende 2022 haben jedoch lediglich sechs Prozent aller Ärzt*innen schon einmal eine elektronische Patientenakte ePA genutzt.

Rund 40 Prozent der Mediziner*innen schließen eine Nutzung „grundsätzlich“ oder aus „sonstigen Gründen“ bis auf Weiteres für sich aus.

Opt-In-Regelung macht Patientendatenschutzgesetz zahnlos

Ergänzend zum Terminservice- und  Versorgungsgesetz verabschiedete die alte Bundesregierung im Juli 2020 ebenfalls das Patientendatenschutzgesetz. Das neue Gesetz gibt Krankenversicherten einen Rechtsanspruch darauf, dass ihre behandelnden Ärzt*innen die elektronische Patientenakte ausfüllen müssen.

Der Datenschutz liegt dabei weitgehend in der Hand der Versicherten – sie bestimmen, welche Daten welchen Ärzt*innen offengelegt werden. Sie können die Kontrolle darüber via Apps auf ihren Smartphones durchführen.

Die wirkliche Schlagkraft von Patientendaten entfaltet sich aber erst, wenn diese millionenfach gesammelt werden. Diese Gesundheitsdaten könnten erweiterten Nutzerkreisen aus Wissenschaft und Forschung, sowie auch aus der forschenden Pharma- und Healthcare-Industrie zur Verfügung gestellt werden.

Mithilfe der riesigen Potenziale künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen (Cyforwards berichtete) könnten dann völlig neue Behandlungsmethoden entwickelt und Erkenntnisse erlangt werden. Leider sieht das mit dem Patientendatenschutzgesetz verknüpfte Gesundheitsdatennutzungsgesetz dafür eine sogenannte Opt-In-Regelung vor, ähnlich wie bei der Organspende.

Dies bedeutet, dass die Information aus einer elektronischen Patientenakte aktiv von den Versicherten freigegeben werden müssen. Erst dann könnten sie erweiterten Nutzerkreisen zugänglich gemacht werden. Erfahrungsgemäß machen davon jedoch nur wenige Menschen Gebrauch.

Viele Gesundheitsplayer sehen eine Regelung mit Opt-Out-Mechanismus als zielführender an. Bei einer solchen Regelung wäre jede ePA zunächst für Datenspenden geöffnet, bis ein Versicherter aktiv widerspricht. Neben der größeren Verfügbarkeit von Daten wäre eine Opt-Out-Regelung auch eine Möglichkeit, eventuelle Verzerrungen und Voreingenommenheiten („Bias“) zu vermeiden.

Wahrscheinlich würden nämlich bei einer Opt-In-Regelung vor allem Menschen mit seltenen Krankheiten, chronisch Erkrankte, Fachleute aus dem Gesundheitsbereich sowie Mediziner ihre Informationen bereitwillig teilen. Normalverbraucher wären dann deutlich unterrepräsentiert. Gerade für KI im Gesundheitswesen könnte dies unerwartete und unerwünschte Folgen haben.

Finanzielle Unterstützung für Digitalisierung wegen Fachkräftemangel nicht abgerufen

Damit die Krankenhäuser die vor ihnen stehenden, großen Digitalisierungsaufgaben auch stemmen können, bieten Bund und Länder mit dem Krankenhauszukunftsgesetz seit 2021 den Krankenhäusern insgesamt über 4 Milliarden Euro zusätzliche Gelder an.

Auch wenn die IT-Abteilungen der Krankenhäuser selbst die Notwendigkeit sehen, werden konkrete Schritte oft aus Mangel an Fachkräften, lokal zeitnah verfügbaren Ressourcen und bürokratischen Hindernissen nicht unternommen.

Tatsächlich ist der IT-Fachkräftemangel der größte Hemmschuh in den Kliniken und aufseiten der vergebenden Behörden. Laut dem Bundesamt für soziale Sicherung (Stand November 2022) stellten Träger bereits über 6.000 Anträge nach dem Krankenhauszukunftsgesetz.

Die Förderanträge müssen sowohl von kompetenten IT-Experten gestellt als auch von gleichen Expert*innen auf staatlicher Seite bearbeitet werden – und das am besten gleichzeitig. Sehr enge zeitliche Vorgaben aus dem Gesetz machen überdies individuell angepasste IT-Lösungen beinahe unmöglich. Auch die Softwarefirmen können in der Kürze der Zeit nur ihre Standardlösungen anbieten.

Hohe Ziele und  praktische Möglichkeiten im Widerspruch

Dem deutschen Gesundheitswesen mangelt es weder an Gesetzesinitiativen, noch an mitwirkenden Playern und am Ende des Tages auch nicht am Geld. Ein bereits hochkomplexes System wird nicht entschlankt oder vereinfacht, sondern noch komplexer gestaltet.

Für die einzelnen Player in diesem System bleibt oft nur der Versuch, die eigenen Ziele unter den gegebenen Umständen bestmöglich umzusetzen. Hierzu benötigen praktisch alle Beteiligten hoch qualifiziertes IT-Personal, das jedoch weiterhin Mangelware ist und auch bleiben wird.


Über Cyforwards:
Die Cyforwards GmbH bietet eine integrierte Beratung in den Themenschwerpunkten Executive Search und People & Organizational Development. Sie besetzt Führungs- und Fachpositionen überwiegend in der IT-Managementberatung. Der Fokus liegt auf den Branchen Public Sector & GovernmentTransportation & Mobility sowie Healthcare. Als Transformationsberater und -begleiter unterstützt Cyforwards Individuen und Organisationen, ihre Ziele zu erreichen und Potenziale zu entfalten. Benjamin Wittekind gründete das Unternehmen 2018 in München.

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Fotos und Illustrationen: Pixabay

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