Interview, Public Sector & Government

Digitalisierung verändert Interkommunale Zusammenarbeit, Professor Ivo Bischoff im Interview

Die Digitalisierung bietet in der Öffentlichen Verwaltung wie in jedem Bereich zunächst technologische Möglichkeiten. Daher gilt es auch hier, die Prozesse und Organisation für Bürger*innen und Mitarbeiter*innen zu verändern. Das Stichwort lautet Interkommunale Zusammenarbeit.

Ivo Bischoff ist seit 2010 ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft an der Universität Kassel. In der Forschung liegt einer seiner Schwerpunkte auf Fragen zur kommunalen Finanzpolitik (Steuerwettbewerb, EU Regionalförderung, interkommunale Zusammenarbeit).

Im Interview mit Benjamin Wittekind spricht Professor Bischoff über die Chancen der Interkommunalen Zusammenarbeit mit Blick auf Front- und Backend, die Möglichkeiten der Standardisierung und die neuen Anforderungen an Mitarbeiter*innen in der Verwaltung.


Professor Bischoff, was beinhaltet Ihr Forschungsprojekt in der Interkommunalen Zusammenarbeit?

Das Forschungsthema Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) begleitet mich bereits seit mehreren Jahren. In dieser Zeit habe ich – zusammen mit meinem Team – zu den Entstehungsfaktoren der IKZ und zur Einstellung von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Kommunalpolitik geforscht.

In jüngerer Zeit stehen die Wirkungen der IKZ im Vordergrund. Hier geht darum, ob die Ziele der Zusammenarbeit auch wirklich erreicht werden, sowie um die Frage, inwieweit die Zusammenarbeit als Plattform genutzt wird, um den interkommunalen Wettbewerb auszuhebeln.

Wieso besitzt das Thema Relevanz?

Seit 2019 befasse ich mich zudem intensiv mit dem Zusammenhang zwischen IKZ und der Verwaltungsdigitalisierung. Denkt man IKZ und Digitalisierung zusammen, so wird deutlich, dass alte Fragen – etwa die nach der optimalen Gemeindegröße und der optimalen vertikalen Arbeitsteilung zwischen Gebietskörperschaften – neu beantwortet werden müssen: Sind angesichts der enormen Skalenerträge digitaler Technologien nicht auch Kreise/Städte mit 200.000 Einwohner*innen suboptimal klein? Ist die die Zuständigkeit der Kreise für BafÖG-Anträge noch zeitgemäß?

Warum steht die öffentliche Verwaltung hier vor großen Herausforderungen?

Viele Kommunen – insbesondere im ländlichen Raum – stehen vor großen strukturellen Herausforderungen: Ihre Finanzkraft droht zu schrumpfen, junge Menschen ziehen weg und qualifizierte Arbeitskräfte sind schwer für die Arbeit im ländlichen Raum zu gewinnen. Zugleich stellt die demographische Alterung besondere Anforderungen an die lokale Daseinsvorsorge

Die Digitalisierung ist hier zunächst einmal eine zusätzliche Herausforderung. Sie verlangt eine grundlegende Transformation der internen Prozesse und den Aufbau einer komplexen und teuren digitale Infrastruktur. Das ist ressourcenintensiv und erfordert Fachwissen, das auf lokaler Ebene oft nicht verfügbar und nur schwer aufzubauen ist. Zudem belastet der permanente Change-Prozess die Bediensteten erheblich.

Wie kann die Verwaltung diese Problematik lösen?

Die strukturellen Probleme des ländlichen Raumes sind auf kommunaler Ebene selbst nur begrenzt lösbar.

Bei der Digitalisierung hingegen haben die Kommunen vieles selbst in der Hand. Zudem birgt sie auch Chancen. So kann die konsequente Digitalisierung des Front-Office das Verwaltungspersonal entlasten. Moderne Eingabeportale übernehmen die Vorprüfung von Anträgen auf öffentliche Leistungen. Dabei können sie Fehler und Lücken frühzeitig erkennen und die Antragstellerinnen und Antragsteller um Korrekturen bitten. In vielen Fällen kann das Portal die Annahme unvollständiger oder fehlerhafter Anträge verweigern. Die Korrekturen müssen dann von den Bürgerinnen und Bürgern vorgenommen werden. Damit entfällt ein substanzieller Teil der Arbeit, die bis dato von Verwaltungsbediensteten übernommen werden muss.

Bedeutsamer sind allerdings die Potentiale im Back-Office. Hier eröffnet die Digitalisierung völlig neue Kooperationspotentiale. Viele Backoffice-Aktivitäten müssen nicht länger vor Ort erledigt werden, wenn die relevanten Daten in digitaler Form vorliegen. Stattdessen können sie in interkommunal betriebene Servicezentren ausgegliedert werden. Diese Zentren erlauben es, Skalen- und Spezialisierungserträge zu erwirtschaften und Verwaltungsverfahren schneller und effizienter zu machen. Erhebliche IKZ-Potenziale ergeben sich auch im Bereich der digitalen Infrastruktur und dem Aufbau und der Pflege des Front Ends.

Eine intelligente Kombination von IKZ und Digitalisierung kann die Kommunen also personell entlasten und Verwaltungsprozesse erheblich beschleunigen.

Welche Herausforderungen sehen Sie dabei?

Diese Lösungen haben natürlich ihren Preis. Insbesondere verlangen sie eine weitreichende Standardisierung. Die Potentiale der IKZ im Back-Office können nämlich nur gehoben werden, wenn die Prozesse interkommunal angeglichen werden. Das schließt neben der Angleichung der Verwaltungsabläufe auch eine Angleichung der Software-Pakete sowie des Datenmanagements ein.

Hier sind die Standardisierungserfordernisse weitreihend, denn die meisten Verwaltungsprozesse finden nicht ausschließlich in der Fachabteilung statt, sondern erfordern den Zugriff auf verschiedene Datenbestände aus anderen Bereichen.

Damit erfasst der Standardisierungsbedarf in einem speziellen Aufgabenfeld i.d.R. auch weitere Abteilungen und damit die dortigen Prozesse und Softwarelösungen. Von zentraler Bedeutung ist hier die Finanzsoftware.

Welche Verfahren bieten auf dem ersten Blick Standardisierungspotentiale?

Standardisierungspotentiale ergeben sich zunächst der Entwicklung des Front-Ends. Hier wird bereits in großem Stil arbeitsteilig an Standardlösungen gearbeitet. Das ist nicht zuletzt dem Zeitdruck des OZG geschuldet.

Weitere, erhebliche Standardisierungspotentiale sehe ich im Back-Office, und zwar zunächst im Bereich der Auftragsverwaltung. Hier geben Bundes- oder Landesgesetze den kommunalen Verwaltungen keine nennenswerten Gestaltungsspielräume. Deshalb werden die interkommunalen Unterschiede überschaubar sein und dort, wo sie existieren, ohne Qualitätsverlust abbaubar sein.

Aber auch viele andere Back-Office Prozesse sollten darauf untersucht werden, inwieweit sie IKZ-Potentiale bieten. Zwar werden die Anpassungsnotwendigkeiten vermutlich größer sein. Aber auch hier lassen sich viele Prozesse standardisieren und arbeitsteilig erledigen, ohne dass die kommunale Selbstverwaltung zu gefährden.

Welche Chancen bieten KI-Lösungen?

Sobald alle Daten, die für einen Verwaltungsprozess notwendig sind, in digitaler Form vorliegen, können Programme die Arbeiten von Verwaltungsbediensteten teilweise oder ganz übernehmen. Vollständig ersetzt werden können die Bediensteten im Prinzip bei allen Verwaltungsprozessen oder Prozess-Teilen, die in logischen Wenn-Dann-Beziehungen abbildbar sind.

Das gilt etwa für die Prüfung von Antragsvoraussetzungen oder für die Berechnung von bestimmten Geldleistungen. Hier kann menschliche Arbeit in den nächsten Jahren zunehmend ersetzt werden. Dafür sind noch nicht mal KI-Lösungen notwendig.

Bei komplexeren Verfahren werden menschliche Verwaltungsfachleute nicht so schnell ersetzt werden können. Dennoch können ihnen KI-Lösungen zur Hand gehen – etwa beim Vorsortieren von Anfragen, bei der Beantwortung von Standardanfragen oder bei Plausibilitätsprüfungen. Das Potential ist erheblich.

Effiziente Lösungen werden vorwiegend auf supra-kommunaler Ebene entwickelt und verbessert werden müssen. Denn die Fixkosten sind erheblich und die notwendigen Datenmengen zum Trainieren von KI-Lösungen übersteigen das Datenangebot einzelner Kommunen um ein Vielfaches.

Was bedeutet die Interkommunale Zusammenarbeit für die Anforderungen an Mitarbeiter*innen im Öffentlichen Dienst?

Für die Mitarbeiter*innen haben die oben geschilderten Entwicklungen in der Interkommunalen Zusammenarbeit weitreichende Folgen. Zunächst verlangt die laufende digitale Transformation ihnen ein großes Lernpensum und erhebliche Anpassungsleistungen ab.

Das wird noch einige Jahre so bleiben, denn die Defizite einer in weiten Teilen verschleppten Digitalisierung müssen aufgeholt werden, wenn Deutschland seinen Wohlstand nicht gefährden will.

Was bedeutet das für die konkreten Tätigkeiten in der Verwaltung?

Die konsequente Digitalisierung von Front- und Backoffice geht zudem mit einer nachhaltigen Verschiebung des Tätigkeitsspektrum einher. Der Anteil an Backoffice-Tätigkeiten sinkt. Zugleich wird das digitale Front-Office zahlreiche Bürger*innen vor Herausforderungen stellen. Zukünftigen Studierenden, die ihren BAfÖG-Antrag bald online stellen müssen, braucht die Verwaltung i.d.R. keine Hilfestellung anzubieten.

Hier würde ich die Haltung vertreten: „Wer keinen digitalen BAfÖG-Antrag zustande bringt, soll besser nicht studieren.“ (selbstverständlich abgesehen von Menschen mit besonderen Anforderungen – etwa einer Sehbehinderung, solange die Portale nicht barrierefrei sind).

Die gleiche Haltung kann man sicher auch bei der Waffenbesitzkarte oder bei Leistungen an Unternehmen vertreten. Es gibt aber auch viele andere Leistungen – das Wohngeld –, bei denen diese Haltung absolut unangebracht ist. Kurz- und auch mittelfristig ist m.E. damit zu rechnen, dass der Personalbedarf im Front-Office/Bürgerservice steigt. Also werden verstärkt Mitarbeiter*innen mit kommunikativen Fähigkeiten gefragt.

Inwieweit erfordert das eine Veränderung der der föderalen Organisation?

In einigen Aufgabenfeldern werden die optimalen IKZ-Verbünde so groß sein, dass sich die Frage stellt, ob statt einer IKZ-Lösung eine generelle Übertragung der Aufgaben an eine höhere föderale Ebene sinnvoll ist. Damit kann die Personalnot insbesondere im ländlichen Raum reduziert werden – allerdings um den Preis, dass hier weitere sichere Arbeitsplätze wegfallen.

Die Verwaltungsdigitalisierung verlangt eine Abkehr vom derzeit dominierenden Denken in Aufgaben. Stattdessen muss verstärkt in Prozessen gedacht werden. Besonders gefordert sind hier Führungskräfte.

In Bereichen, in denen die Digitalisierung zu mehr interkommunaler Zusammenarbeit führt, bedarf es eines Abrückens von Kirchturmdenken und der Haltung „Das haben wir schon immer so gemacht!“. Im Gegenzug ergeben sich aber auch erhebliche Entlastungen. Denn bei weitem nicht alle historisch gewachsenen Lösungen sind gut. Die IKZ bietet hier die Möglichkeit, voneinander zu lernen – ein bis dato oftmals ungenutztes Potential.

Professor Bischoff, ich danke Ihnen herzlich für unser Gespräch über Interkommunale Zusammenarbeit und Digitalisierung.


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Über Cyforwards:
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Bild: Sonja Rode/Lichtfang.net

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