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Kompetenzprofile und Ausbildung in der digitalen Transformation – Prof. Erich Heumüller im Interview, Teil 1

Prof. Dr. Erich Heumüller ist seit 2019 Professor für Wirtschaftsinformatik und Leiter des Zentrums für Digitale Transformation an der staatlichen Hochschule DHBW Stuttgart. Davor war er unter anderem als Wissenschaftler, IT-Führungskraft im Öffentlichen Dienst sowie als Senior Consultant tätig.

Prof. Heumüller hat uns ein zweiteiliges Interview gegeben. Wir freuen uns sehr, Ihnen heute den ersten Teil zum Thema „Kompetenzprofile und Ausbildung in der digitalen Transformation“ zu präsentieren. Der zweite Teil erscheint am Mittwoch, 15. Dezember 2021 im Cyforwards Blog an dieser Stelle.


Herr Prof. Heumüller, wo liegen für Spezialistinnen und Spezialisten die größten Herausforderungen in der digitalen Transformation von Organisationen?

Die Halbwertszeit von Wissen, insbesondere im Bereich IT wird aufgrund einer wachsenden Innovationsdynamik zunehmend schneller abnehmen. Das heißt, ihr Spezialistenwissen von heute ist morgen weniger relevant. Damit einher gehen auch ganz persönliche Konsequenzen bis hin zur Veränderung von Berufsbildern und -positionen.

Das gilt gleichermaßen für Transformierende – also zum Beispiel Berater – als auch Transformierte – also Organisationen und deren Beschäftigte in ihren Digitalisierungsbestrebungen. Die Herausforderung liegt für die Beteiligten darin, Innovationen und deren Nutzen, aber auch Hürden, einschätzen zu können.

Diese Flexibilität verlangt eine Bereitschaft, sich diesen Innovationen zu stellen und mündet gegebenenfalls darin, in 10 Jahren einen Job mit einer Technologie ausfüllen können zu wollen, den es heute noch gar nicht gibt. Für Organisationen gilt, dass sie diese Fähigkeiten ausbauen müssen, um als Organisation agil agieren zu können.

Solche Strukturen und Prozesse zu schaffen, um einerseits effizient arbeiten und andererseits Innovationen schaffen und adaptieren zu können, ist eine große Herausforderung. Diese Veränderungsnotwendigkeit wird teilweise nicht gesehen oder es fehlt an pragmatischen Lösungsansätzen.

Das bedeutet, dass wir einerseits Wagemut im Ausprobieren beweisen aber auch dringend Methoden entwickeln müssen, um Digitale Transformation gestalten zu können.

Welche inhaltlichen, prozessualen und technischen Voraussetzungen müssen Berater:innen beherrschen?

Die Digitalisierung bedeutet den Einsatz von IT-Innovationen im Geschäftskontext und durchdringt somit sämtliche Bereiche, in denen Berater tätig werden: Entwicklung von Produkten, Dienstleistungen, Geschäftsprozesse, Absatzkanälen, Kundenkommunikation etc. Beratungsunternehmen müssen unabhängig von ihrer Spezialisierung – ob beispielsweise Logistik, Personaldienstleistung, Change Management, Marketing, Strategie – Digitalisierungspotentiale erkennen und berücksichtigen.

Dazu ist es nicht erforderlich, technologische Innovationen in der Tiefe zu verstehen, sondern deren Nutzenpotential, Einschränkungen und Voraussetzungen damit Berater:innen ihren Kunden Möglichkeiten aufzeigen können.

Berater:innen sollten daher ein technisches Grundverständnis mitbringen und bestrebt sein, aktuelle Innovationstrends und deren Einsatzpotentiale zu kennen und Adaptionsmöglichkeiten für ihre Kunden aufzeigen zu können.

An speziellen prozessualen oder technischen Voraussetzungen würde ich das nicht festmachen wollen. Entscheidender, als das faktische und explizite Wissen, das in der Frage adressiert ist, erscheint mir jedoch das Wissen darum, dass Digitale Transformation, mehr als Digitalisierung, Unternehmen in ihrem wirklichen Kern berührt.

Somit ändern sich in der Organisation die Kernfähigkeiten, das Kernwissen und die Kultur, weil neue Fähigkeiten und neues Wissen oftmals von anderen Personen eingebracht werden und somit kulturelle Veränderungen – Veränderungen des Selbstverständnisses unumgänglich sind. Darauf müssen sich Beratungen einstellen.

Wie können sich Studierende darauf vorbereiten?

In dem sie sich regelmäßig selbst fordern und aus der Komfortzone wagen. Ich erlebe Studierende insbesondere aus ganz unterschiedlichen Studienrichtungen, wie beispielsweise Dienstleistungsmanagement oder Industrie, denen ich beispielsweise zu Beginn eines Seminars einen Bot zeige (Chatbot oder RPA-Bot) und ihnen sage, dass sie sowas am Ende des Seminars auch bauen können.

Meist ernte ich Skepsis. Aber im Laufe des Seminars finden sie zunehmend Gefallen daran und sie arbeiten sich motiviert in die Themen ein und sind am Ende selbst überrascht und auch ein bisschen stolz, was für innovative Lösungen sie entwickelt haben.

Häufig kommt es sogar vor, dass sie danach das Thema in ihren eigenen Unternehmen vorantreiben, weil sie selbst gesehen haben, wie es funktionieren kann.

Als Professor setze ich in den Seminaren oder Projekten nur die Rahmenbedingungen, gebe viele Freiheiten und Hilfestellung, wie die Umsetzung erfolgen kann, und letztlich durch die Note auch Anreize. Studierende sollten dies als Gelegenheit begreifen, sich und Technologien in einer geschützten Umgebung ausprobieren zu können.

Die Umsetzung der Ausbildung wird durch zunehmende Digitale Lehre und Modularisierung von Lehrinhalten – dem Mikrolernen – gekennzeichnet sein.

Prof. Erich Heumüller

Welche Studiengänge bieten bestmögliche Zugangswege in dieser wachsenden Branche?

Vor allem interdisziplinäre Studiengänge, die Business-relevante Disziplinen mit informatiknahen Themen kombinieren, bieten den Studierenden die Möglichkeit, Problemstellungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.

Es muss aber nicht immer zwingend Wirtschaftsinformatik sein. An der DHBW bieten wir beispielsweise den Studiengang Digital Business Management an, der darauf abzielt, die Studierenden in betrieblichen Projekten zur digitalen Transformation oder als IT-kompetente Betriebswirte in ausgewählten Fachfunktionen zu qualifizieren.

Solche multiperspektivischen Ansätze sind aber auch in traditionellen Studiengängen, wie der Informatik, enthalten. Durch die vielen Wahlmöglichkeiten an Modulen, insbesondere im Master, ist es mittlerweile bei sehr vielen Studienrichtungen möglich, zumindest in gewissem Umfang entsprechende Digitalisierungskompetenzen aufzubauen. (Anmerkung der Redaktion: genau diese Kompetenzen werden auch im Öffentlichen Dienst dringend gesucht)

Inhaltlich hängt die Ausbildung den aktuellen Trends immer etwas hinterher. Deswegen werden uns in der zukünftigen Ausbildung aktuelle Trends, wie Robotic Process Automation, Process Mining, Blockchain, zentrale wie dezentrale digitale Plattformen, IoT oder KI weiter begleiten.

An der DHBW haben wir den Vorteil, dass die Dualen Partner ihre Studierenden in aktuelle Projekte mit eben diesen Themen einbeziehen, die sie dann in ihren Projekt- und Abschlussarbeiten bearbeiten. Dadurch haben die Studierenden einen sehr engen Bezug von Theorie und Praxis in aktuellen Trendthemen.

Die Umsetzung der Ausbildung wird durch zunehmende Digitale Lehre und Modularisierung von Lehrinhalten – dem Mikrolernen – gekennzeichnet sein.

2020 und 2021 haben wir im Hochschulbetrieb einen Digitalisierungsschub erhalten. Die Vorlesung wurde jetzt nicht einfach nur in einem Online-Meeting durchgeführt, sondern es wurden neue didaktische Konzepte entwickelt. Jetzt gehen die Hochschulen wieder vermehrt in den Präsenzbetrieb über und wir überlegen, welche Inhalte besser online und welche besser offline vermittelt werden.

Dabei kommen auch Fragen nach Skalierungsmöglichkeiten auf, für die wir Antworten benötigen: Warum müssen Grundlagenfächer beispielsweise der Betriebswirtschaftslehre an vielen Unis und Hochschulen parallel ausgebildet werden, wo doch eine online-Vermittlung dieser Inhalte für alle Studierenden ebenfalls möglich wäre und damit gleichzeitig eine Standardisierung verbunden werden könnte?

Begleitend dazu und insbesondere im Kontext lebenslangen Lernens beobachten wir auch eine zunehmende Verkleinerung der Lehrinhalte bei schneller Rückkopplung zum Lernerfolg. Das heißt Lehrinhalte werden in viele kleine Lehreinheiten – so genannte Microcontents – zerlegt und separat Lernerfolgskontrollen durchgeführt.

Insbesondere im tertiären Bildungsmarkt, also z.B. berufsbegleitend, werden solche „Snippets“ mit separaten Minizertifikaten immer beliebter, um schnell einen nachweisbaren Einblick in spezifische Themen zu erhalten. Auch darauf müssen sich Bildungsanbieter zunehmend einstellen.

Welche Forderungen haben Sie darüber hinaus an den Gesetzgeber, um die Ausbildung von IT-Fachkräften zu beschleunigen und zu vereinfachen?

Da gibt es mehrere Ansatzpunkte. Neben bundeseinheitlichen Standardisierungsbemühungen könnte auch die Art und Weise, wie Lehren und Lernen in der Schule umgesetzt wird, angepasst werden. Denkbar wäre hier, dass ein projektbezogenes Lernen praktiziert wird, wo anhand eines Falls verschiedene Ausbildungsinhalte unterschiedlicher Fächer bearbeitet werden.

Im Hinblick auf die Ausbildung von IT-Fachkräften sollten Mathematik und Informatik stärker an den Schulen und gegenbenefalls in digitalen Lernumgebungen stattfinden. Die Digitalisierung der schulischen Ausbildung umfasst mehr als die Ausstattung mit WLAN und Rechnern.

An den Hochschulen sollte der Mittelbau gestärkt werden, da die technische Basis, die für die Ausbildung unabdingbar ist, sonst nicht gebaut werden kann. Dazu gehört auch die Förderung, Aus- und Weiterbildung des technischen Personals und der Infrastruktur an den Hochschulen, da diese die Umgebung für eine IT-Fachkräfteausbildung bereitstellen.

Zudem sollte gegebenenfalls eine Angleichung zwischen technischen (z.B. Informatik, Ingenieursdisziplinen) und wirtschaftlichen Fakultäten erfolgen. Letztlich sollten auch Weiterentwicklungskonzepte für die Lehrkräfte selbst – also uns Professoren und Dozenten – diskutiert werden. Schließlich wollen wir auch lebenslang lernen.

Herr Prof. Heumüller, vielen Dank für das Interview.


Über den Interviewpartner:

Prof. Dr. Erich Heumüller ist seit 2019 Leiter des Zentrums für Digitale Transformation (ZDT) an der DHBW in Stuttgart. Er lehrt und forscht unter anderem über Digitale Transformation, digitale Ökosysteme und Plattformen, Prozessautomatisierung und RPA und agiles Projektmanagement. Zuvor unterstützte er Unternehmen und Institutionen als Unternehmensberater in den Bereichen Digitalisierungsstrategie, IT-Organisation und Geschäftsprozesse. Gemeinsam mit seinen Klienten bewertete er technologische Innovationen und ihr Einsatzpotential für bestehende Geschäftsmodelle und unterstützte auch bei der Technologieadoption.


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Über Cyforwards:
Die Cyforwards GmbH bietet eine integrierte Personalberatung in den Themenschwerpunkten Executive Search und People & Organizational Development. Sie besetzt Führungs- und Fachpositionen überwiegend in der IT-Managementberatung. Der Fokus liegt auf den Branchen Public Sector & GovernmentTransportation & Mobility sowie Healthcare. Als Transformationsberater und -begleiter unterstützt Cyforwards Individuen und Organisationen, ihre Ziele zu erreichen und Potenziale zu entfalten. Benjamin Wittekind gründete das Unternehmen 2018 in München. 

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Bild: Erich Heumüller

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